Denkanregungen

Über unserem Umgang mit den Dingen

 

„Der Flachs“ von Hans Christian Andersen

 

„Der Flachs steht auf dem Feld, kommt zur Blüte und denkt - in unserer Empfindung, denn das Denken ist in der Naturgeschichte uns zugefallen: Dies ist die Vollendung, so schön habe ich werden können! Dann kommen die Schnitter, und ihm wird arg mitgespielt, bis er sich schließlich in einem gewebten Leinenstoff wiederfindet. Und da kommt es ihm nach all der Not nun doch so vor, als sei dieses Leinen - mit ande­ren zusammen ein so schöner Stoff geworden zu sein - vielleicht eine noch höhere Vollendung als das Blühen auf dem Feld. Auch dabei aber bleibt es nicht, sondern der Stoff wird zerschnitten und genäht, das tut wieder furchtbar weh. Schließlich entsteht daraus jedoch ein festliches Kleid, das mit Freude getragen wird. So stra­paziös die Verwandlung war, ist es nun nicht doch noch schöner, dieses Kleid zu sein als nur Stoff in der Truhe? Das Kleid wird oft getragen, und immer ist der Flachs dabei, schließlich aber ist es abgetragen und bleibt im Schrank. War dies das Leben, so hatte er es dennoch weit gebracht. Es schien aber noch nicht vorbei zu sein, denn eines Tages ging es wieder los, und was nun kam, war noch furchtbarer als zu Leinen zu werden - so ein Reißen, Kochen und Quetschen hatte der Flachs noch nie erlebt. Schließlich aber war er dann zu Papier geworden, einem wunderschönen, großen weißen Bogen Leinenpapier. War dies nun nicht noch viel schöner als alles zuvor? Und doch war die Geschichte noch nicht zu Ende, sondern auf das Papier wurde ein Buch gedruckt. Das war erneut ein arges Geschneide und Gepresse, aber mit welchem Ergebnis! Weißes Papier ist schon sehr fein, aber nun erst das be­druckte als Träger von Gedanken, die noch viel feiner und leichter sind als das Papier, auf dem sie stehen. War nicht doch erst dies der Gipfel der Vollendung?“

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